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Berg-Sage der Gegenwart – Wehret der Vernichtung der Landschaft in Tirol 5. September 2014

Posted by wwlinde in Allgemeines.
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Die Sage von den Kögeln aus Kalk mitten im Urgestein.

 

Es war der Tag, als alle Quellen versiegten, weil sie dem großen Meer Platz machen mussten und in diesem aufgingen. Sie blieben Quellen, weil die Quellenkönigin, die Mutter aller Quellen, den Wassertropen befohlen hatten, ihren Tanz weiter zu leben und ihre leisen Melodien auch im großen Wasser weiter zu singen.

Es war der Tag, als König Serles die Unermesslichkeit seiner Macht ausübte und nur mehr seine Krone aus dem Wasser ragte.

Befiehl den Stürmen, dass sie die Wogen aufpeitschen lassen und jede Gischtkrone soll zu einer Zinne deiner Burg werden, sagte der Geist über den Wässern und aus den Zinnen sollen die Quellen sprudeln und das Wasser den Boden netzen, auf dass dieser eine Blume zeuge, die edles Weiß und nichts anderes in sich trägt.

Der König Serles baute sich seine Burg und nannte ihre Teile nach Menschen und Tieren. So entstand die Ochsenwand und neben ihnen die Schlicker Zinnen und noch heute erinnert die Schlicker Seepsitze an die Zeit, als dies alles geschah. Da die Tiere des Königs untergebracht werden mussten, ließ er den hohen Burgstall bauen und für das Jungtier gab es den niederen Burgstall.

Die Mutter der Quellen mahnte den König Serles: Vergiss nicht, dass die Höhen die Kälte bringen und alle Wärme brauchen. So wurden auch Schafe gezüchtet und der Widdersberg erinnert noch bis in die Gegenwart daran, dass der Schutz vor den Unbillen der Witterung überlebenswichtig für alle ist. Selbst die Edelweiß, wie die Blume genannt wurde, erhielten eine wollige Hülle.

Als sich das große Wasser verzogen hatte und die Burg des Königs Serles ihre stolzen Umrisse zeigte, entstand eine wunderbare Landschaft, die der Garten des Königs Serles und das Reich der Mutter der Quellen wurde. Die Tänzerinnen des Wassertropfenballetts wurden zu Blumen und die Kare und Schründe der Burg wurden Kalkkögel genannt, obwohl der Kalkstein sonst größtenteils nur jenseits des großen Flusses zu finden waren.

Der sonst sehr kriegerisch gesinnte König Serles ließ das Band der Gipfel zu einem Garten des Friedens werden, in dem er keinen Streit geben solle.

Doch erhoben sich die Menschen, die mit der Zeit alles besiedelten und störten den Frieden. Die Beschaulichkeit sollte weichen und die Schönheit Geld bringen. Vergnügen und Lust lösten die Nachdenklichkeit ab und die neuen Herren der Welt in den Dörfern stritten sich und waren sich uneins über die Teilung des Gartens des Königs und der Mutter der Quellen.

Wir lassen die Quellen versiegen und die Felsen sollen zu Gesteinslawinen werden, beschlossen der König und die Mutter der Quellen.

Das Einzige, was wir dulden, ist, dass ihr, die ihr euch die Dorfkaiser nennt, den Menschen die Schönheiten der Landschaft zeigt und sie lehrt, das Natürliche zu schützen. Wenn ihr zwischen den Tälern des großen Landes eine Verbindung haben wollt, die dem Vergnügen dient und dem Lebensgenuss, so soll dieser auch zeigen, wie alles entstand und warum es so wurde wie es ist.

Und wie zur Drohung wurden die Zinnen brüchig und die Quellen versiegten für kurze Zeit.

Alles drohte zu veröden.

Doch die Hoffnung lebt: Der König Serles versprach den Menschen einen großen Schatz in seinem Bergreich, wenn sie umdenken und im Einklang mit dem, was sie Erschauen können, leben.

 

So habe ich die Sage von meinen Vorfahren gehört und wie ich sie überliefert bekommen habe, so schreibe ich sie nieder.

Wer immer diese Aufzeichnungen findet – der solle sie weitertragen und in seinem Herzen bewahren. Und die ganze Kraft des Verstandes einsetzen.

Es ist alles wahr. So wahr mir Gott helfe.

 

Franz Ferdinand Senn, Hirte und Knecht am Hofe des König Serles.

 

(aufgezeichnet von Winfried Werner Linde, anno Domini 2014)